Großbaustelle Wertstoffgesetz – oder das Bohren dicker Bretter

Pünktlich zum parlamentarischen Ferienbeginn haben sich die Unterhändler der großen Koalition auf Eckpunkte des Projekts verständigt. Und schon ist wieder mit Staus und Behinderungen zu rechnen. Überall werden Stopp-Schilder aufgestellt und Tempolimits gefordert. Und das, lange bevor konkrete Pläne auf dem Tisch liegen. Müssen wir uns auf eine weitere Berliner Dauerbaustelle einrichten?

Um im Bild zu bleiben: Die „Investoren“ aus dem Kreis der Marken- und Ernährungsindustrie sowie des Handels waren erst einmal zufrieden. Das Projekt soll weiterhin in der Hand der privaten Wirtschaft bleiben. Schließlich sind sie es ja, die das Ganze finanzieren. Die Kommunen, auf deren Grundstücken gebaut werden soll, finden das gar nicht gut. Im Schulterschluss mit den Grünen fordern sie einen Baustopp noch vor dem ersten Spatenstich.

Bleiben noch die dualen Systeme, die mit der Organisation der Arbeit vor Ort beauftragt sind. Und nicht zuletzt die Bautrupps der deutschen Entsorgungswirtschaft. Beide fordern mehr Mitwirkungsrechte und fürchten, dass die Kommunen die Arbeit teilweise selbst erledigen wollen. Soweit die Kurzzusammenfassung: In Wirklichkeit ist das alles jedoch viel komplizierter.

Über Recyclingquoten wird man sich einigen

Die Recyclingquoten bleiben hinter den technischen Möglichkeiten zurück und sollten dynamisch angepasst werden. Darüber ist man sich seit Jahren grundsätzlich einig. Auch der Vorschlag des FKN, eine eigene Quote für Getränkekartons einzuführen, um Gestaltungsspielräume bei der Berechnung der Verbundquote zu vermeiden, ist weitgehend akzeptiert. Wenn es darum geht, wie anspruchsvoll die Quoten sein sollen, gehen die Meinungen schon auseinander.

Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) will unterschiedliche Anforderungen für Verpackungen und Produkte. Einheitliche Recyclingquoten seien zu ambitioniert. Auch die Frage, worauf sich die Recyclingquoten beziehen sollen, ist unter Experten umstritten. Das Bundesumweltministerium hat angekündigt, im September einen Arbeitsentwurf vorzulegen. Erst danach wird anhand konkreter Verwertungsanforderung zu diskutieren sein, was technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar ist – aber daran wird das Gesetz nicht scheitern.

Nicht alles, was man gut recyceln kann, ist ressourceneffizient

Bei der grundsätzlichen Frage, wie die angeblich fehlende ökologische Lenkungswirkung des jetzigen Systems verbessert werden kann, wird das schon schwieriger. Der Vorschlag der Koalition: Die Höhe der Lizenzentgelte soll sich an der Recycling-Fähigkeit orientieren. Zu Recht weist u.a. der Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE) darauf hin, dass dies in einem Wettbewerbssystem nicht nachprüfbar funktionieren kann.

Unabhängig davon lässt sich ein Recycling-Bonus für ansonsten ökologisch nachteilige Produkte nur schwer rechtfertigen: Nicht alles, was recyclinggerecht ist, ist auch ressourceneffizient und umgekehrt. Eine Zentrale Stelle, die – ökologisch gerecht – Finanzströme lenken soll und Verträge zwischen Privaten dahingehend überprüft, ob bestimmte ökologische Vorgaben der Preisgestaltung eingehalten werden, ist nicht nur realitätsfern sondern auch systemfremd. Da wollen die Grünen doch lieber gleich staatlich festgesetzte Lizenzgebühren oder eine Ressourcenabgabe. Ob sie das angebotene Placebo schlucken, ist fraglich.

Zentrale Stelle – alle wollen mitreden

Die Entsorgerverbände fordern, dass auch die Recyclingwirtschaft in die Zentrale Stelle „entscheidungsrelevant“ eingebunden wird. Schon lange ärgern sie sich über den Alleingang des Handels und der Industrie, die mit Rückendeckung des Bundesumweltministeriums bereits vor einiger Zeit mit den organisatorischen Vorarbeiten begonnen haben. Es sei grundlegend falsch, meint auch Grünen-Politiker Peter Meiwald, dass sich die Hersteller hier selbst kontrollieren sollen. „Die Kontrolle des Systems muss in der öffentlichen Hand liegen“. Andere wiederum sind besorgt über einen zu großen Einfluss der Kommunen.

Entschieden ist hier noch lange nichts: Im Koalitionspapier heißt es dazu sehr allgemein, dass die neue „Registerbehörde“ Kontrollfunktionen wahrnehmen und „überwiegend“ von den Produktverantwortlichen getragen werden soll. Eine „Mitwirkung“ der Länder und Kommunen sei zu gewährleisten. Nach Ansicht von Vertretern des Bundesumweltministeriums gibt es noch „erheblichen Konkretisierungsbedarf“. Dies betrifft vor allem die rechtssichere Ausgestaltung der Aufgaben der Zentralen Stelle. Also z.B. bei den Themen Registrierung, Ausschreibung oder der geplanten Schiedsstellenfunktion. Es ist davon auszugehen, dass darüber mindestens ebenso heftig diskutiert werden wird, wie über die Besetzung von Gremien. Ausgang offen.

„Grundsätzlich privat organisiertes System“

Das Thema mit dem größten Konfliktpotential, das bislang alle anderen Diskussionen überlagert, bleibt die Aufgabenverteilung zwischen Privaten und Kommunen. Nach langem Ringen hat sich die Koalition darauf verständigt, die Produktverantwortung auf Waren – also ausrangierte Plastikeimer, Bratpfannen etc. – zu erweitern. Wie schon bei Verpackungen soll die alleinige Verantwortung für die Sammlung, Sortierung und Verwertung der Privatwirtschaft übertragen werden.

Zunächst besteht die handwerklich schwierige Aufgabe darin, im Gesetz hinreichend zu bestimmen, welche Waren zu lizenzieren sind. Sonst drohen neue Schlupflöcher, Trittbrettfahrer und endlose Gerichtsverfahren. Noch schwieriger wird es allerdings, für ein Konzept politische Mehrheiten zu organisieren, das Kritiker als „Vollprivatisierung der Hausmüllentsorgung“ ansehen.

Kommunalpolitiker sind enttäuscht

Obwohl sich zwei Drittel des Eckpunktepapiers mit „besseren Einflussmöglichkeiten der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger“ befassen, wollen sich kommunale Interessenvertreter und Gewerkschaften damit nicht abspeisen lassen: „Die Behauptung der Koalitionäre, dass die Kommunen gestärkt würden, weil sie Art und Größe der Behälter sowie den Sammelrhythmus bestimmen dürften, übertüncht letztendlich nur, dass die Koalition de facto die kommunale Daseinsvorsorge im Entsorgungsbereich weiter aushöhlen will“, heißt es etwa in einer Pressinfo von ver.di. Rückendeckung bekommen sie aber nicht nur von den Grünen im Bund und den Ländern: Wenige Tage nach Veröffentlichung des Eckpunktepapiers fordert die rot-grüne Landesregierung in Baden-Württemberg, dass die „Wertstofferfassung von Verpackungen und Produkte“ organisatorisch ganz den Kommunen übertragen werden soll.

Viele in der SPD tun sich schwer, den Kompromiss mitzutragen. Aber auch die Kommunalpolitiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind enttäuscht und finden, dass der Koalitionsvertrag „eine Kommunalisierung der Erfassung und Sammlung von Wertstoffen eindeutig nicht ausschließt“. Auch die Grünen wissen, dass sie mit ihrer Forderung nach einer Rekommunalisierung der Verpackungsentsorgung bis hin zur Abschaffung der dualen Systeme nicht durchkommen werden. Davon steht nun wirklich nichts im Koalitionsvertrag. So wundert es nicht, dass auf beiden Seiten die Stimmen lauter werden, die alles beim Alten lassen wollen. Zu befürchten ist, dass der neue Hauptstadtflughafen schneller fertig wird als das Wertstoffgesetz.

Kontakt

Florian Lamp, Pressereferent FKN

Florian Lamp

Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

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