„Ich kaufe vor allem Milch im Getränkekarton“
Jörg-Andreas Krüger ist Präsident des Naturschutzbundes Deutschland (NABU). Nach einer Ausbildung zum Verwaltungsbeamten und einem Studienabschluss als Diplom-Ingenieur der Landschaftsarchitektur, arbeitete er seit 1999, unterbrochen von einer Station beim WWF, beim NABU.
FKN: Herr Krüger, nutzen Sie privat Getränkekartons?
Jörg-Andreas Krüger: Ich kaufe vor allem Milch im Getränkekarton. Ich schätze am Karton, dass die Papierfasern aus FSC®-zertifizierter, das heißt nachhaltiger Forstwirtschaft kommen und die Herstellung ökologisch immer weiter optimiert wurde. Gut ist auch, dass das Recycling der Kartons in den letzten Jahren noch einmal technologisch weiterentwickelt wurde.
FKN: Was macht für Sie und den NABU eine umweltfreundliche Getränkeverpackung aus?
Jörg-Andreas Krüger: Es gibt keine per se umweltfreundlichen Verpackungen, Verpackungen belasten die Umwelt jedoch in unterschiedlich starkem Maße. Eine ökologische Bewertung ergibt sich immer nur aus dem Vergleich der Verpackungslösungen. Dies gilt auch für Getränkeverpackungen. Methodisch wünschen wir uns hier für die Zukunft, dass auch negative Auswirkungen auf die Biodiversität in Ökobilanzen einbezogen werden. Hier ist die Wissenschaft heute leider noch nicht so weit.
FKN: Im Getränkebereich wird oft für umweltfreundlich gehalten, was mehrfach verwendbar ist. Ist Mehrweg wirklich immer besser?
Jörg-Andreas Krüger: Mehrweg im Getränkebereich hat ein großes Potenzial, das absolute Aufkommen an Verpackungsabfällen zu reduzieren. Aber auch bei der notwendigen Stärkung von Mehrweg wird es in Zukunft eine Ko-Existenz von Einweg und Mehrweg geben und beide Strukturen müssen ökologisch optimiert werden – auch Mehrweg: Wir brauchen ökologisch und wirtschaftlich effiziente Pool-Mehrwegsysteme statt Insellösungen einzelner Unternehmen.
FKN: Bei Saft sind Getränkekartons gleichwertig mit Mehrweg-Glasflaschen, bei Milch sind sie besser, so die vom UBA anerkannte Ökobilanz des IFEU-Instituts. Wie sehen Sie Getränkekartons?
Jörg-Andreas Krüger: Wir sehen die Sache differenziert: Im Mineralwasserbereich gibt es ausreichend empfehlenswerte Mehrwegangebote. Bei Milch aber sind die Mehrwegstrukturen in Deutschland sehr viel schlechter. Hier empfehlen wir neben der Mehrwegflasche aus der Region auch Getränkekartons als umweltfreundliche Verpackungslösung.
FKN: Zahlen der GVM aus einer vom UBA veröffentlichten Studie sagen, dass die Palurec die Recyclingfähigkeit von Getränkekartons ab 2025 auf bis zu über 95 Prozent steigen lassen können. Stimmen Sie dieser Einschätzung zu?
Jörg-Andreas Krüger: Das freut uns, zeigt es doch, wie sehr die Getränkekarton-Branche in den letzten Jahren in das Recycling und in die Zukunft investiert hat. Das Gutachten geht davon aus, dass die Palurec-Anlage zukünftig in der Lage ist, einen substanziellen Teil der in Deutschland anfallenden Rejekte zu recyclen. Wir wünschen uns natürlich, dass diese Kapazitäten nicht nur in Deutschland, sondern mittelfristig auch in der gesamten EU aufgebaut werden.
FKN: Die Pläne dazu liegen umsetzungsbereit in der Schublade, warten aber noch auf die verschiedenen laufenden Gesetzesvorhaben in der EU. Stichwort Europa. Was kann Deutschland hier Ihrer Meinung nach noch optimieren?
Jörg-Andreas Krüger: Deutschland hat sich in den letzten Jahren ziemlich ausgeruht und erst mit Inkrafttreten des Verpackungsgesetzes kam wieder Schwung in die Bude: Ambitionierte materialspezifische Recyclingquoten und die Anstrengungen der Industrie haben zu einem beachtlichen Recyclingerfolg im Verpackungsbereich geführt. Die Qualität der Rezyklate und die Entwicklung von werkstofflichen Verfahren für den Einsatz der Rezyklate in hochwertigen Verpackungen und Produkten bleibt eine enorme Herausforderung. Aber auch die Trennung in den Haushalten und im Gewerbe muss verbessert werden und das Aufkommen von immer mehr papierbasierten Verbunden, die nicht oder kaum recyclingfähig sind, sehen wir mit Sorge.
FKN: Das EU-Parlament hat im Herbst 2023 über die EU-Verpackungsverordnung (PPWR) abgestimmt. Was ist Ihre Meinung zum Abstimmungsergebnis und was fordert der NABU?
Jörg-Andreas Krüger: Das Abstimmungsergebnis im EU-Parlament hat uns und die befreundeten Verbände tatsächlich schockiert. Dass faktisch alle Maßnahmen zu Vermeidung und Wiederverwendung gestrichen wurden, ist ein herber Rückschlag. Wir engagieren uns dafür, dass die Bundesregierung ihrer Vereinbarung im Koalitionsvertrag nachkommt und sich im Rat für den Entwurf der EU-Kommission einsetzt.
„Generell geht es um ein passendes Miteinander von Mehrweg und Einweg.“
FKN: Eines der umstrittenen Themen der PPWR sind verpflichtende Mehrweg-Quoten. Wie steht der NABU zu Mehrwegquoten? Und wie sind Mehrwegquoten z.B. mit der FKN-Ökobilanz vereinbar, die Getränkekartons und Mehrweg-Glas bei Saft und Milch ökologische Gleichwertigkeit bescheinigt?
Jörg-Andreas Krüger: Als NABU setzen wir uns für verpflichtende Mehrwegquoten ein, um Mehrweg zu stärken. Wenn alle Unternehmen verpflichtet sind, Mehrweg anzubieten und in Systeme zu investieren, haben diese, allein aus Kostengründen, Anreize, effiziente Pool-Mehrwegsysteme aufzubauen. Gegebenenfalls brauchen wir auch eine gesetzliche Verpflichtung für die Unternehmen, sich einer Branchenlösung anzuschließen. Auch bei Getränken wie Wein und Milch, wo es bisher kaum Mehrweg in Deutschland gibt, wird Mehrweg ökologisch effizienter, wenn die Mengen steigen, neue Abfüllorte erschlossen und die Systeme besser gemanagt werden. Das bedeutet aber nicht, dass Einweg seinen Platz im Regal verlieren wird.
FKN: Aktuell füllen sieben Molkereien in Deutschland ihre Milch in Mehrweg- Glas ab. Wie soll so ein Prozess, dass große Molkereien aus Effizienzgründen zentral liegen und dafür kleinere, unwirtschaftliche Molkereien geschlossen wurden, real umsetzbar sein?
Jörg-Andreas Krüger: Es ist auf jeden Fall wichtig, bei gesetzlichen Vorgaben die speziellen Branchenstrukturen in den Blick zu nehmen. So wie bei der Milch die geringe Zahl an Abfüllorten zu berücksichtigen ist, so sind es beim Wein die Importe. Nicht alle Getränke sollten oder müssen denselben Regeln unterliegen – jedenfalls nicht von Anfang an. Langfristig wollen wir für alle Produkte mehr ökologisch effiziente Mehrwegangebote sehen – aber generell geht es um ein passendes Miteinander von Mehrweg und Einweg.